Wenn hier etwas schief läuft, hört man schnell „This is Africa“. Aber unser Freund Marcus hat nicht ganz Unrecht, wenn er sagt „This is Eden“. Er glaubt, dass sich das biblische Paradies in Afrika befand und der Sündenfall der Kolonialismus war. Natürlich ist nicht alles paradiesisch in Ghana, nicht zuletzt deswegen sind wir ja auch hier. Aber wenn die Wellen am einsamen Sandstrand branden und die feuerrote Sonne hinter Palmen versinkt, ist es doch gar nicht soweit entfernt vom Garten Eden.

Tuesday 25 October 2011


Obwohl wir den letzten Blog-Eintrag über den Wolken verfassen, sparen wir uns jede Reinhard-Mey-Metapher. Aus zwei Kilometern Höhe sieht Ghana sauber und geordnet aus. Doch nach zwei Monaten lässt sich sagen, dass dieser Schein trügt.

Die Schule am See

Bei der Fahrt von der Hauptstadt Accra in die zweitgrößte Stadt Kumasi werden wir Zeuge eines Infrastruktur-GAUs. Hunderte Lastwagen, Tro-tros und Busse stecken dreißig Kilometer lang im Sandkasten fest. Davor und danach dutzende Kilometer astrein asphaltierte Straße. Ob höhere Gewalt oder niedere Unfähigkeit dafür verantwortlich sind, erschließt sich uns nicht.

In der traumhaften Landschaft am Lake Bosumtwi nahe Kumasi ist diesen staubige Fahrt inklusive Video-Ghallywood-Folter schnell vergessen. Der See ist in Folge eines Meteoriteneinschlags entstanden und gilt dem Stamm der Ashanti deshalb als heilig. Nach zwei Tagen am See verstehen wir gut, warum Forscher aus Harvard hier seit Jahren damit beschäftigt sein sollen, ein Magnetfeld nachzuweisen. Wir verbringen einige Tage im Rainbow Garden Village. Unser Freund Steffen hat sich einen schwäbischen Handwerkertraum erfüllt. Drei kleine Bungalows, schöne Restaurant-Terrasse, auf jeden Fall eines der schönsten Hotels unserer Reise. 
So schön es hier für Touristen ist, so schwierig ist es für die lokale Bevölkerung. Deshalb wollen wir hier mit Rainbow over Ghana eine Schule bauen. Wir treffen die ghanaische Kontaktperson Kwame und diskutieren mit ihm den weiteren Verlauf unseres Projekts. Wir machen uns in der Schulruine ein Bild von der derzeitigen Unterrichtssituation, sprechen mit den Lehrern und spielen mit den Kindern. Später treffen wir den Chief Executive Director des Districts, die ghanaische Form des Landrats. Wir haben einen Termin um acht Uhr, müssen uns trotz Augenkontakts noch eine halbe Stunde gedulden. 
Der Director traut sich wegen des heftigen Regens nicht, die drei Meter von seinem Geländewagen ins Büro zurückzulegen. Kurz bevor wir ihn mit dem Schirm abholen wollen, fast er sich ein Herz und riskiert Regentropfen auf dem Hemdkragen. Dafür ist er anschließend umso freundlicher, wieder einmal ist das Empfehlungsschreiben des ghanaischen Bildungsministeriums der Türöffner. Nach einem netten Gespräch beschließt er kurzerhand mit uns die fünfzig Kilometer nach Kumasi zu fahren. Im klimatisierten Geländewagen steuert uns der Chauffeur zum Regional Director des ghanaischen Bildungsministeriums. Vorbei an Dutzenden wartenden Personen werden wir direkt ins oberste Stockwerk geführt. Scheinbar hat sich hier alles versammelt, was im regionalen Bildungsbereich Rang und Namen hat, um die beiden Deutschen zu empfangen, denen diese Sonderbehandlung etwas unangenehm ist. Wir verpatzen die Hofetikette, ausnahmsweise nicht dadurch, dass wir ohne Anzug reisen, sondern indem wir die Greeting Order missachten. Trotzdem haben wir ein gutes Gespräch und sammeln wertvolle Information für die NGO-Arbeit.

We are no gold diggers

Nach getaner Arbeit genießen wir die letzten Reisetage. Kumasi ist die Hauptstadt des Ashanti-Reichs, dessen König zusammen mit dem Präsidenten der höchste Würdenträgers des Landes ist. Er gibt sich volksnah, wenn man vorher anruft und eine Pulle Schnaps mitbringt, kann man zur Audienz vorbeikommen. Laut unserem Reiseführer kann man sich mit ihm über alles unterhalten. Vielleicht ist es besser, dass wir ihn nicht treffen. Dafür sehen wir im Museum Kühlschrank und Minibar seines Vorgängers und kriegen bei der Führung zu hören, dass Gender-Fragen auch im Königshaus eine Rolle spielen. Die 64 Frauen seines Vorvorgängers sind heute nicht mehr opportun. Seine Majestät begnügt sich heute mit zwei. Als kleine Wiedergutmachung lässt er sich alle 42 Tage in seinem goldenen Sessel durch die Stadt tragen und bejubeln.

Das größte Spektakel ist jedoch der Markt, angeblich der größte Afrikas. Auf den durch den Markt führenden Eisenbahngleisen stolpern wir vorbei an europäischen Kleiderspenden, dem unvermeidbaren Räucherfisch und der Voodoo-Fetisch-Abteilung. Dass hier noch ab und zu ein Güterzug durchrollen soll, bezweifeln wir bei genauer Betrachtung der Schienen. Am eindrucksvollsten sind die Blechschmiede. Hütte auf Hütte entlang eines Hangs gestapelt, erinnern ihre Werkstätten an eine Science-Fiction-Endzeit-Kulisse. Ohrenbetäubender Lärm, alles wird mit der bloßen Hand gehauen, Funken sprühen von den Schweißgeräten. Trotz der harten Arbeit begrüßen uns alle freundlich, fragen wo wir herkommen und kennen mindestens einen deutschen Fußballer.

Da die Ashantis die Schwaben Ghanas sind und Kumasi abends nicht so viel zu bieten hat, fahren wir nach zwei Tagen weiter. In Obuasi wollen wir eine der größten Goldminen der Welt besichtigen. Ashanti Gold ist das einzige afrikanische Industrieunternehmen, das in London und New York an der Börse gehandelt wird. Tatsächlich kommt der Kolonialname Ghanas, Goldküste, nicht von ungefähr. Ein früherer Herrscher der Region hat bei seiner Pilgerreise nach Mekka so viel Gold geopfert, dass der Weltmarktpreis für das Edelmetall für über ein Jahrzehnt aus den Fugen geraten ist. Trotzdem kriegen wir davon nichts zu sehen, eine Tour ist erst wieder für den nächsten Tag angesetzt und ein günstiges Hotelzimmer nicht zu finden. Da hilft es uns auch nicht, dass der Sicherheitsbeamte uns aus Verlegenheit einfach so in die Goldmine lassen möchte, nachdem er uns entgegen unserer Beteuerung und unserer Reiserucksäcke für Arbeiter hält und einfach nicht versteht, dass wir nur ins Besucherzentrum wollen.

Standesgemäß ins Paradies




Die nächsten Tage verbringen wir am Strand. Hängematten, Cuba Libre, fangfrischer Hummer – ein perfektes Ende unserer Reise. 





In Elmina besuchen wir das älteste erhaltene Fort Westafrikas und beobachten das bunte Treiben im Fischerhafen.







Zurück in Accra feiern wir die gelungene Reise bei der Tawala-Beach-Reggae-Party, interviewen die Fußball-Kids von Marcus und schauen beim berühmten Sargmacher von Teshie vorbei. Jeder der genügend Kleingeld übrig hat, kann sich standesgemäß unter die Erde bringen lassen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Taxifahrer lassen sich im Toyota bestatten, Fischer in einem Krabbensarg und für den Schreiner selbst ist der Hammer schon fast fertig.




Den Weg zum Flughafen betrachten wir mit ganz anderen Augen als bei der Ankunft. Obwohl alles immer noch fremd ist, ist vieles davon Alltag geworden. Die Lautstärke, das Gedränge, der Schmutz – aber auch die Lebensfreude trotz dieser Umstände.






Auf Wiedersehen Afrika und wehe, es gibt beim nächsten Mal wieder keine Löwen zu sehen.


Notizen der letzten beiden Wochen:
  • Effizienter als Lampedusa und FRONTEX scheinen Manus Drecksbotten zu sein, um Afrikaner vom Abenteuer Europa abzuhalten.
  • Ab dem sechsten Hummer wird es langsam eng im Bauch.
  • Wie schlechte Ehemänner an Heiligabend kurz vor Ladenschluss in der Tankstelle haben wir es geschafft, die Postkarten am allerletzten Tag abzuschicken.
  • Buschratte ist selbst für den experiementierfreudigen Backpacker-Magen eins zu viel.
  • Wäre das Taxameter nicht gelaufen, hätte Ghallywood jetzt einen neuen Star.
  • Fragwürdig erscheint diese Karriere jedoch, wenn man weiß, dass diese Filme bevorzugt von Polit- und Wirtschaftsgrößen beim Stelldichein mit Mätressen im Stundenhotel geschaut werden.
  • Man mag über Fußball-Fans aus dem Ruhrpott denken was man will, aber sie scheinen fleißig Kleidung für Afrika zu spenden. (Heja BVB!)
  • Weiß ist, wenn man trotz totem Waschbären auf dem Kopf, ungenügend gewaschenen Hemden und fiesem Geruch von den Lokalpolitikern hofiert wird und nur noch mit Chauffeur im Geländewagen reist.
  • Noch weißer fühlt man sich jedoch, wenn sich die ghanaische Ausgabe des Wu Tang Clan in der dunkelsten Nacht über die vermeintliche NATO-Hinrichtung Gaddafis echauffiert.
  • Wären die Menschen in Kumasi handwerklich geschickter, würden sie nach 20 Uhr tatsächlich die Bürgersteige hochklappen.
  • Achtung, die Leute könnten wieder deutsch verstehen.

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