Wenn hier etwas schief läuft, hört man schnell „This is Africa“. Aber unser Freund Marcus hat nicht ganz Unrecht, wenn er sagt „This is Eden“. Er glaubt, dass sich das biblische Paradies in Afrika befand und der Sündenfall der Kolonialismus war. Natürlich ist nicht alles paradiesisch in Ghana, nicht zuletzt deswegen sind wir ja auch hier. Aber wenn die Wellen am einsamen Sandstrand branden und die feuerrote Sonne hinter Palmen versinkt, ist es doch gar nicht soweit entfernt vom Garten Eden.

Tuesday 27 September 2011

Schlagloch-Roulette

Ghana, Togo, Benin – die Hälfte der Reise ist vorbei. Viele Kilometer haben wir dabei nicht zurückgelegt, dafür unter umso abenteuerlicheren Umständen. Auf einer deutschen Autobahn hätten wir für die Strecke von Accra nach Cotonou keine drei Stunden gebraucht. Dafür dass es hier zwei Wochen gedauert hat, gibt es mehrere Gründe. Spannende Ziele, zwei Landesgrenzen, aber vor allem Straßen, die den Namen eigentlich nicht verdient haben und Autos, die ihren dritten oder vierten Herbst durchleben. Die beiden letztgenannten Umstände halten den Afrikaner nicht davon ab, Großfamilien plus weiße Touristen einzuladen. Wir haben uns vor der Reise engen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung gewünscht, aber nicht unbedingt auf diese Weise.

Eine typische Fahrt läuft so: Noch während wir unser Hostel verlassen, halten bereits die ersten Motorräder am Straßenrand – sie haben Frischfleisch gewittert. Die Verhandlungen in gebrochenem Französisch beginnen zunächst mit Mondpreisen der Fahrer und der Erwiderung, dass wir genau diese Strecke schon einmal für ein Viertel des Preises gefahren seien. Der Fahrer kann sich das nicht vorstellen und geht vorsichtig zwanzig Prozent runter, wir winken ab, gehen zwei Meter weiter und können dann für ein Drittel des Ursprungspreises mitfahren. Der große Rucksack hinten, der Fahrtenrucksack vorne klammern wir uns am Gepäckträger fest, während der Moto-Taxifahrer Gas gibt, als hätte er eine Krankenversicherung. Dieser Teil der Strecke geht also meistens schneller als in deutschen Großstädten. Die Straßenverkehrsordnung wird hier eher als gutgemeinter Ratschlag begriffen. An sogenannten Bahnhöfen nehmen uns die Sammeltaxi-Fahrer bereits in Empfang, um uns lautstark davon zu überzeugen, mit ihnen mitzufahren. Wieder einmal stehen wir vor dem Problem, dass die Bankautomaten nur 10.000 Franc-Scheine (15 Euro) ausspucken, die Moto-Taxifahrer aber schon mit 2000ern überfordert sind. Während wir versuchen, das Kleingeld aus den Taschen zu fischen oder jemanden zu finden, der uns das Geld wechseln kann, entfaltet sich um uns herum die afrikanische Lebensfreude in Form eines Brüllkonzerts. Je Taxifahrer gibt es drei scheinbar Unbeteiligte, die auch etwas dazu zu sagen, beziehungsweise zu schreien, haben, aber eigentlich nicht sachdienlich zur Problemlösung beitragen. Der, der am lautesten brüllt bekommt den Zuschlag. Er führt uns zu einem Auto, das zwar nicht mehr durch den TÜV kommen würde, aber dessen deutscher Heckscheiben-Aufkleber stolz den vorhandenen Katalysator anpreist. Viel mehr Gutes lässt sich über dieses Auto auch nicht sagen. Da der Fahrpreis für unsere Verhältnisse meist sehr gering, die Autobeladung dafür umso umfangreicher ausfällt, versuchen wir dem Fahrer klar zu machen, dass wir bereit sind, den Fahrpreis für eine weitere Person zu übernehmen, wenn wir dafür nicht zu zweit auf dem Beifahrersitz Platz nehmen müssen. 
Das Vorhaben endet damit, dass der Fahrer den Familienvater mit zwei seiner Kinder nach vorne verfrachtet, während wir hinten mit der Mutter und den beiden anderen Kindern Platz nehmen. Nicht ganz das, was wir wollten. Wir haben ein schlechtes Gewissen der Familie gegenüber, müssen aber auch nicht den erhöhten Fahrpreis bezahlen. Der Fahrer legt den ersten Gang ein, es röhrt und das Auto ruckelt vorwärts. Der Motor klingt, als hätte er Asthma. Die Achse hat schon geradere Zeiten erlebt. Das Baby auf dem Arm der Mutter ist ähnlich zufrieden mit der Gesamtsituation wie wir und bringt dies auch dementsprechend lautstark zum Ausdruck.  Derjenige von uns, der am Fenster sitzt, muss den Ellenbogen raus halten und hat trotzdem noch das Vergnügen das linke Knie des Nebensitzers ins Bein gedrückt zu kriegen. Die entspannteste Person ist ganz klar der Fahrer. Nicht nur hat er Platz, er darf auch über die Musikauswahl verfügen. Stundenlange Audiofolter durch christliche Gospelchöre oder nordghanaische Trommelgruppen. Alle zwanzig Kilometer hält uns eine Polizeikontrolle auf, um einen Blick in den Kofferraum zu werfen. Diese Gelegenheiten nutzen zahlreiche Straßenhändler, die durchs Fenster Wasser, Bananenchips oder kleine undefinierbare Holzstapel feilbieten. Die Weiterfahrt wird durch waghalsige Überholmanöver aufgelockert, die einen mit Schauern an die Bremsgeräusche vor der letzten Polizeikontrolle zurückdenken lassen. Am Ziel angelangt, werden wir wieder von unzähligen Motorrad-Taxifahrern belagert. Die gleichen Verhandlungsspielchen, die selben waghalsigen Manöver: So legen wir Kilometer um Kilometer zurück.

Disco-Togo

Von Accra fahren wir auf diese Weise nach Lomé, die Hauptstadt Togos. Zunächst müssen wir dafür aber zum ersten Mal eine afrikanische Landgrenze überqueren. Entlang eines Traumstrandes laufen wir vom Busbahnhof zu den Kontrollposten. Wir wechseln von Englisch zu Französisch und von Cedi zu Westafrikanischen Francs. Bei Ersterem hilft uns niemand, bei Zweiterem wollen alle mitverdienen. Geldwechsler sind nur eine Art von Glücksrittern, die von Grenzübergängen magisch angezogen werden. Mit kalligrafischem Geschick pinselt uns der togolesische Grenzbeamte das Sieben-Tage-Visum in den Pass. Fünfmal abgestempelt, wieder deutsche Gründlichkeit. Vom Gewimmel der Grenze sind es nur fünfhundert Meter bis ins Hotel im Kolonialviertel Lomés. Da wir das allerdings noch nicht wissen, werden wir prompt zum Auslöser eines heftigen Gerangels unter den Taxifahrern. Erster Härtetest für das eingerostete Schulfranzösisch. Wir landen im erstbesten Taxi, zusammen mit einem Kind, das weder der Fahrer noch wir kennen. Es erzählt uns, dass seine Mutter im Sterben liege und es deshalb dringend Geld brauche. So traurig die Geschichte, so wenig nachprüfbar ist sie. Wie so häufig auf dieser Reise müssen wir einsehen, dass wir nicht allen helfen können und bleiben bei unserem Prinzip, Bettlern auf der Straße nur in Ausnahmefällen Geld zu geben. 

„Le Galion“ ist ein Hotel, in einem ehemaligen Kolonialbau direkt am Stadtstrand von Lomé. Einen Steinwurf entfernt steht der alte Präsidentenpalast. Das Restaurant und die Speisekarte sind stark vom französischen Erbe geprägt. Neben dem Menu du jour gibt es Froschschenkel und französischen Rosé. Auch das wässrige Bier spricht eindeutig dafür, dass Togo stärker von unseren westlichen Nachbarn als von der vorherigen deutschen Kolonialisierung beeinflusst wurde. Abends speisen wir neben europäischen Diplomaten und afrikanischen Geschäftsleuten. 

Lomé ist sauberer und wesentlich ruhiger als Accra. Am Sandstrand findet man nur wenige Plastiktüten und man muss nicht bei jedem Schritt aufpassen, in eine metertiefe Kloake zu fallen. Da in Togo Zweiräder auch nicht so verpönt sind wie in Ghana, sind außerdem die Straßen weniger verstopft. Den Mopeds merkt man an, dass sie der wichtigste Besitz sind. Auch wenn sich die Stadt in einem schleichenden Verfall befindet, blitzen die Radspeichen. Tagsüber besuchen wir den Präsidentenpalast, den stillgelegten Bahnhof, den Unabhängigkeitsplatz und die Kathedrale im französischen Stil - nachts trinken wir Rum auf dem Hoteldach.

Drei Orangen, zwei Zahnbürsten und keinen Krokodilschädel, bitte

Da unser Visum und Reisezeit stark begrenzt sind, fahren wir nach nur zwei Tagen an den Ufern des Togosees entlang nach Aného, einem Ort direkt an der Grenze Benins. Togo ist an der Küste nur fünfzig Kilometer breit, so dass das Land trotz der oben beschriebenen Straßenzustände schnell zu durchqueren ist. Von Aného besuchen wir den freitäglichen Markt in Vogan. Beeindruckt von den Bildern, Geräuschen und Gerüchen lassen wir uns treiben. Eingeschweißte Importwaren in den fest betonierten Ständen des vorderen Marktteils, an den Beinen gefesselte Schweine und Ziegen, Berge von getrockneten Fischen mit glasigen Augen, Chilischoten, gefälschte T-Shirts, Holzkohle, Bambusmatten, Kochtöpfe, Macheten und in einer Ecke des Marktes alles was man für einen ordentlichen Voodoo braucht. 

Die Auslage der Händler brächte Artenschützer zur Weißglut und uns beim deutschen Zoll in Erklärungsnot, sollten wir so etwas als Souvenir mitnehmen wollen. Zum Verkauf stehen an jedem dieser Stände kleine Holzfiguren, tote Vögel, Tierfelle, Schlangenhäute und Schädel von Krokodilen, Affen und Raubkatzen. Als wir zu lange auf die Auslage schauen, greift einer der Verkäufer in eine Plastiktüte und will uns eine lebende Schildkröte andrehen.


Nach einer weiteren Runde Schlagloch-Roulette auf einer staubigen Piste geht der Voodoo-Zauber weiter. Wir stehen in Togoville, das unter den Deutschen Togostadt und unter den Engländern Togotown hieß. Bevor wir in die Geheimnisse des Voodoos eingeweiht werden, zeigt uns der Touristenführer die Marienkirche, die errichtet wurde, nachdem die Jungfrau hier einem Togolesen erschienen war. Und der Papst war auch schon da. Wieder nicht Erste. Beim Dorfrundgang werden wir über die verschiedenen Funktionen der Voodoo-Statuen aufgeklärt. Religion mit Dienstleistungscharakter: An Markttagen erbitten die Verkäufer von ihrem Voodoo ein gutes Geschäft und wer sich nicht ausreichend bestückt fühlt, kann sich gegen kleine Münze vom männlichen Dorf-Voodoo helfen lassen. An manchen dieser Spam-Emails aus Nigeria scheint also was dran zu sein. Zurück nach Aného stochert uns ein Vater-Sohn-Unternehmen in einer Piroge über den See.

Grenzwertige Unterhaltung

Wie turbulent unser Weg in die beninische Hauptstadt Cotonou werden wird, ahnen wir beim Aufstehen am nächsten Tag nicht. Zunächst fahren wir mit dem Motorrad zwei Kilometer zur Grenze, reisen ohne Schwierigkeiten aus Togo aus, durchqueren das Niemandsland zwischen den Ländern und zeigen beim „Gesundheitscheck“ unser Impfbuch. Erst als der beninische Grenzbeamte ein Passfoto für das 48-Stunden-Visum fordert, beginnen die Probleme. Seit Wochen haben wir uns vorgenommen, Passbilder zu machen. Zu spät. Jetzt stehen wir da, aus Togo schon ausgereist, in Benin noch nicht eingereist. Weit und breit keine Gelegenheit Passfotos zu machen und der Grenzbeamte lässt auch nicht mit sich diskutieren. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zur togolesischen Grenze zurückzukehren und die Französisch-Kenntnisse auf eine erneute Probe zu stellen. Wir sind uns nicht sicher, was uns erwarten wird: Von Korruption, über Unverständnis bis Sturheit ist alles möglich. Doch wir haben Glück, mit Kooperation haben wir nicht gerechnet. Wir dürfen noch einmal einreisen. Wenige hundert Meter hinter oder vor der Grenze, wir haben den Überblick verloren, befindet sich ein Fotostudio. Zwanzig Minuten später verlassen wir das Studio mit den wahrscheinlich teuersten Passfotos diesseits der Sahara. Zurück über die Grenze, unsere Pässe haben mittlerweile Ähnlichkeit mit dem Unterarm nach einer langen Clubnacht: Wir sind nun vermutlich die ersten Touristen, die in Togo zweimal ein-, aber nur einmal ausgereist sind. Offiziell haben wir das Land nie verlassen. Dieses Mal klappt mit dem Visum alles und der Grenzbeamte verabschiedet uns mit Deutschbrocken aus der Abendschule. 

Zwei Stunden später sind wir in Cotonou und auf der Suche nach einem Hotel. Der Reiseführer schickt uns in die teuerste Gegend der Stadt und am Ende müssen wir mit Sechs-Quadratmetern in einer christlichen Gemeinde vorlieb nehmen. Wir flüchten auf ein Bier und zum Abendessen zu einem Chinesen um die Ecke. An den Preisen sieht man deutlich, dass das Viertel bevorzugt von europäischen Diplomaten und Entwicklungshelfern frequentiert wird. Cotonou frisst sich in unser Reisebudget. Die vermeintlich angesagte Feierstraße stellt sich als eine Art Freiluft-Puff mit den dementsprechenden Gestalten heraus. Die einzige männliche Person, die uns anquatscht ist Kevin. Der Nigerianer hat in uns seine zwei neuen besten Freunde gefunden und versichert uns gefühlte hundert Mal, dass es ihm nicht ums Geschäft geht. Mit seiner Nummer in der Tasche fahren wir zurück zu unserer Gebetsstätte, die nicht nur geografisch meilenweit von diesem Viertel entfernt wirkt. Zwei Nonnen servieren uns die letzte Cola und stehen ungeduldig neben uns, bis wir ausgetrunken haben. Ein weniger absurdes Ende hätte dieser Tag auch nicht verdient gehabt.

Gaddhafi steht das Wasser bis zur Minarettspitze

Während wir darauf warten, dass die Einwanderungsbehörde am Montag öffnet, besuchen wir am Sonntag das Stelzendorf Ganvié. Der Geschichte nach sind die Vorfahren der Dorfbewohner vor afrikanischen Sklavenhändlern auf den See geflüchtet, da die Verfolger des Königreichs Dahomey einem religiösen Gebot folgend kein Wasser überqueren durften. Wir buchen das Ruderboot und fahren mit Außenborder die acht Kilometer über den See. Auf dem Weg dorthin versichert uns der junge Touristenführer, dass wir über den Preis der Führung, die wir bereits zu bezahlen geglaubt haben, im Dorf verhandeln können. Warum das nur dort geht, scheint er selber nicht wirklich zu wissen. Dort angekommen werden wir direkt ins erstbeste Restaurant geschifft, wo die Ladenbesitzer schwer enttäuscht darüber sind, dass wir keinen dreißig Kilo schweren Schnitz-Elefanten mitnehmen wollen. 

Das Dorf ist beeindruckend, 35.000 Bewohner, alle Häuser einen Meter über dem Wasser, einmal im Jahr Hochwasser (höher als ein Meter, wie die Male an den Häuserwänden verraten), der Chief des Dorfes hat ein Haus aus Beton. Und Gaddhafi hat eine Moschee gestiftet – vermutlich eine seiner letzten Amtshandlungen. Jede Familie hat mindestens drei Boote: Eines für die Frau, die zum schwimmenden Markt fährt, eins für die Kinder, um zur Schule zu kommen, ein drittes für den Mann, der damit zum Fischen oder nach Cotonou fährt.

Aus Scheiße Gold machen auf Nigerianisch

Die Verlängerung unsere Visums am kommenden Tag läuft eigentlich problemlos. Nur mit dem Wechselgeld nimmt es die Kassiererin nicht so genau. Besser gesagt, sie erklärt uns erst, dass sie gerade keine 1000 Francs (1,50 Euro) hat und schaltet anschließend auf Durchzug. Unsere erste negative Erfahrung mit korrupten Beamten in Afrika. 

Die eigentliche Hauptstadt Benins, Porto Novo, ist eine verschlafene Kleinstadt. Touristische Sehenswürdigkeiten gibt es nur wenige. Die größte Attraktion für notorische Weltverbesserer ist das Centre Songhai. Vor 24 Jahren wurde dieses Zentrum für nachhaltige Landwirtschaft von einem nigerianischen Dominikaner-Mönch gegründet. 

Die drei Aspekte Ackerbau, Nutztierhaltung und Fischzucht werden in Einklang gebracht. Das in sich geschlossene System kommt ohne Chemie aus. Die Pflanzen werden an die Tiere verfüttert, deren Kot als Dünger und zur Gewinnung von Biogas verwendet wird, welches gemeinsam mit Solarenergie wiederum alle mechanischen Geräte der Anlage betreibt, die vor allem die Pflanzen verarbeiten. Das Zentrum produziert Gemüse, Getreide, Milch, Geflügel, Fisch, Cashew-Nüsse, Schnecken, Früchte – alles in Bio-Qualität. Aus diesen Primärprodukten werden unter anderem Säfte, Marmeladen, Seifen und Croissants hergestellt. Die Maschinen hierfür werden in der angegliederten Werkstatt gebaut und auch verkauft. Aus ganz Afrika kommen Menschen hierher, um die Methoden der nachhaltigen Landwirtschaft zu erlernen und es gibt Zweigstellen des Zentrums in drei weiteren afrikanischen Ländern. Zumindest hier war Afrika Mitte der 1980er-Jahre bereits fortschrittlicher als die ehemaligen Besatzer.

Am (großen) Arsch der Welt

Da wir uns trotz dieser milden urbanen Umstände noch nicht von der Hektik Cotonous erholt haben, fliehen wir an den Strand. In Grand-Popo (keine Witze!) lassen wir Seele mitsamt Körper (Hängematte!) in einem Rasta-Hideout baumeln. Wir wohnen in Bob Marley. Hätten aber auch in Peter Tosh oder Lucky Dube nächtigen können, denn die Zimmer sind nach Rasta-Legenden benannt. Außer uns, dem Father, dem Besitzer und dem Boy ist niemand da. Für den Preis einer Maß bekommt man hier sechs Cocktails und nicht nur deswegen hat der Himmel Benins mehr Sterne als der Himmel der Bayern. Abgesehen von den meterhohen Wellen bewegt sich hier niemand mehr als nötig. 


Das hat den Fischern aus Ghana allerdings niemand erzählt. Jeden Mittag wecken sie den Father aus seiner heiligen Rasta-Ruhe während sie unter lauten Rufen mit einer halben Hundertschaft ihr Netz an Land ziehen. Sie leben ein Jahr in Benin, da die Fischgründe im Osten Ghanas überfischt sind. Eine Knochenarbeit, die sich hier finanziell wenigstens zu lohnen scheint.


Am Lac Ahémé dürfen wir selbst das Netz auswerfen. Bei uns wirkt das alles allerdings bei weitem weniger grazil als bei unserem ECO-Guide. Gegen einen inneren Widerstand haben wir das Meer verlassen, um nach Possotomé an den größten See Benins zu fahren. Die Ufer des Lac Ahémé sind geprägt vom Voodoo-Kult. Wirkte dieser in Togoville noch wie ein freundlicher Kuschel-Glauben, zeigt er hier auch seine hässliche Seite: Nicht geständige Diebe ereilt der Tod in sieben Tagen, wenn man es sich wünscht. Der örtliche Penis-Voodoo hilft hier Wanderarbeitern bei der Jobsuche im Ausland. Und wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, hilft der Voodoo auch hier – allerdings mischt er sich dann bei der Namensgebung des Nachwuchses ein.

In Ouidah folgen wir dem Weg der Sklaven bis zum „Tor ohne Wiederkehr“. Nachdem sie von den afrikanischen Sklavenhändlern an die Europäer verkauft worden waren, wurden sie zunächst in den Forts der Kolonialmächte Frankreich, Portugal, England und Holland gefangen gehalten, die in dieser Episode der Geschichte ausnahmsweise friedlich nebeneinander her ausbeuteten, bevor die armen Teufel zusammengepfercht auf Segelbooten nach Brasilien, Haiti und Kuba verschifft wurden. Und mit ihnen der Voodoo-Glauben.

Morgen geht es auf die nächste Etappe der Reise. Acht Stunden mit dem Bus in den Norden Benins. Zum ersten Mal weg von der Küste. Safari! 



Notizen der vierten und fünften Woche:
  • Vorsicht: Togolesische und beninische Grenzbeamte lernen Deutsch auf der Abendschule.
  • Keine Grenzübergänge ohne Passfotos.
  • Geht es Kevin aus Nigeria wirklich ums Geschäft?
  • Nonnen können ganz schön ungeduldig werden.
  • Dämliche „Bitte-im-Sitzen-Pinkeln-Schilder“ werden scheinbar von der GIZ nach Afrika geschifft.
  • Google-Translate würde manche Afrikaner davon abhalten, deutsche Kleiderspenden zu tragen.
  • Hätte die Schreinerei Schilling gewusst, dass ihr Laster auch mit zwei Tonnen Übergewicht fährt, hätten sie nicht immer zwei Mal zur Baustelle fahren müssen.
  • Auch Malaria-Jaques hat uns noch nicht erwischt.
  • MacGyver würde vor Neid erblassen, sähe er unsere Moskitonetz-Konstruktionen – wir brauchen nicht einmal Büroklammer und Kaugummi.
  • Okay, Frau Weschenfelder und Frau Hahne, wir hätten damals in Französisch besser aufpassen sollen.
  • Schafe sind die wahren Leidtragenden der Voodoo-Kultur.
  • Geschwindigkeitsbegrenzungen in einer Region, in der kein Auto einen funktionierenden Tachometer hat, machen nur bedingt Sinn.
  • Der Afrikaner hat die Apotheke im Vorgarten.
  • Berlin-Mitte Hipster würden Baobab-Saft einen Schrein errichten.
  • Wer seine Frau schlägt, läuft Gefahr, als Nilpferd zu enden.
  • Mönche brauen nicht immer nur Bier, besonders nigerianische.
  • Es gibt so krass viele Sterne.
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Chemiekeule, die wir uns gegen Moskitos auf Kleidung und Körper sprühen, und den vielen skurrilen Gestalten, die wir treffen?
  • One Laptop per Child ist übertrieben, einer reicht um fünf zu beschäftigen.
  • Wir sind wirklich ganz miese Entwicklungshelfer, zum Glück versteht hier keiner Deutsch.
  • In dauerhafter Sorge um seinen Carbon-Footprint lädt der Afrikaner acht Leute in den Kleinwagen.
  • Nö, das ist viel zu teuer, vorhin haben wir nur 200 Franc dafür bezahlt!
  • Über den Daumen gepeilt führen Koalas und Rastas ein ähnliches Leben, immerhin ist der Father zwischendrin aufgestanden um die Sandterasse zu fegen.
  • Fischern bei der Arbeit zuschauen, macht schläfrig.
  • Auch von Flip-Flops kann man Blasen bekommen.
  • Personen, die diese noch nicht trinken dürfen, sollten keine Cocktails mixen dürfen (Danke an dieser Stelle an den Boy für die Kokosnuss voller Schnaps!)
  • Ich heiße nicht Isidor, dein Kumpel nicht Africa und nein, wir gehen nicht mit dir feiern
  • Wachmann kommt nicht von schlafen!
  • Gäbe es keine Stromausfälle, müssten wir in jeder Hotelbar das Licht ausmachen.
  • Wo ist die Kamera?
  • Bei der nächsten Runde „Wer verliert den wertvolleren Gegenstand“ ist der Laptop dran.

Sunday 11 September 2011

Von „Sin City“ in den Ramadan

An genau solch einem Strand sitzen wir, während wir die ersten Zeilen dieses Blogs verfassen. Vor 17 Tagen haben wir uns in Amsterdam getroffen. Studium erfolgreich beendet und die wichtigsten Kontaktadressen für unsere NGO-Arbeit in der Tasche: Zwei Monate Afrika!

Zunächst führt unser Weg aber über Amsterdam und Casablanca. Zwei Städte die zu diesem Zeitpunkt kaum unterschiedlicher sein könnten. Highlife in „Sin City“ mit Transvestiten auf dem Christopher Street Day, Crack rauchenden Österreichern und hoffnungslos betrunkenen Pakistanis. Ramadan in der marokkanischen Küstenmetropole. Kein Essen, kein Trinken und dementsprechend schlechtgelaunte Araber vor Sonnenuntergang. Und auch wir haben Probleme, tagsüber Nahrung zu finden und müssen wider unserer Prinzipien bei einer amerikanischen Fastfood-Kette essen.

 


Beim Besuch der fünftgrößten Moschee der Welt ruft der Muezzin zum Mittagsgebet. Während die „Allahu-Akhbar-Rufe“ durch die wie ausgestorben wirkende Stadt hallen, bekommen wir ein Gefühl dafür, warum die Menschen willens sind, von morgens um vier bis Abends um sieben weder zu essen, noch zu trinken. Die Kinder interessieren sich allerdings kaum für den Muezzin und erfrischen sich im Natur-Pool direkt vor den Mauern der Moschee. Es sind Sommerferien in Marokko. 

Am Abend brechen wir gemeinsam mit den Mitarbeitern unseres Hotels das Fasten und diskutieren bei süßem Tee und Shisha über das Ende der Gaddhafi-Regentschaft. Später sitzen wir auf der Dachterrasse, blicken über die Altstadt und genießen bei einem Glas Absinth die Tatsache, keinen religiösen Geboten unterworfen zu sein. Kurz bevor wir am folgenden Abend nach Ghana weiterfliegen lassen wir uns noch auf marokkanische Weise dampfgaren. Im angeblich besten Hammam der Stadt schwitzen wir und lassen uns massieren. Wenige Stunden später überqueren wir die größte Wüste der Welt und erblicken durch das Flugzeugfenster einzelne Lichtpunkte in der umkämpften Westsahara.


Familientragödie

Frühmorgens in Accra stellen wir fest, dass die am Vortag weg geschrubbte oberste Hautschicht eventuell ganz nützlich beim Auftragen des stark reizenden Moskitoschutzes gewesen wäre. Nach erledigten Einreiseformalitäten und verspätetem Abholservice sitzen wir am Frühstückstisch bei Mama Mina, unserer „Gastmutter“ für eine Woche. Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir noch nichts von den sektenähnlichen Ritualen dieser „Familie“. Diese werden uns erst beim gemeinsamen Abendessen offenbar. Jeden Abend bitte Mama Mina die „Familie“, ein Dutzend deutscher Volunteers, an den Tisch, unentschuldigtes Fehlen wird nicht gerne gesehen. Dann bittet die Matriarchin Jesus um Hilfe im Kampf gegen Malaria – Amen. Neuankömmlinge, also wir, müssen an ihrem ersten Abend alles Übriggebliebene essen. Das dem so ist, erfahren wir aber erst nachdem wir trotz späten Mittagessens aus Höflichkeit reichlich von den sieben ghanaischen Köstlichkeiten gespeist haben. Resultat: Der Rest des Tisches darf uns dreißig Minuten zuschauen, wie wir uns das restliche halbe Kilo Reis einverleiben. Zum Platzen gefüllt müssen wir uns der nächsten Herausforderung stellen: Tanz- und Gesangseinlage, alles Teil des Aufnahmerituals. Als „Belohnung“ werden wir anschließend mit Yo-Daumen (drei Mal beide Daumen nach oben auf die zu zelebrierenden Personen richten und Yo brüllen) feierlich in die „Familie“ aufgenommen. Wir werden beide zu Gentlemen of the Evening ernannt, eine Ehre,die uns aufgrund der vorherigen Völlerei zuteil wurde. Wenn wir das nächste Mal nach Accra kommen, werden wir wohl nicht zu unserer „Familie“ zurückkehren.

Slum, Goat, Millionaire

Auf der Suche nach Essen, das unsere westliche Mägen zur Eingewöhnung verkraften, streifen wir durch unser Viertel. Schnell kommen wir zu etwas, das auf der Karte noch wie ein Fluss aussah. Hier schwimmt allerdings nichts. In der vier Meter breiten und zwei Meter tiefen Betonröhre steht schwarzes Brackwasser. Es stinkt bestialisch. Auf kleinen Müllinseln aus alten Plastiktüten, Autoreifen und Elektroschrott tapsen verdreckte Vögel und suchen nach Essbarem. Am Rand der Kloake sitzen Kinder und verrichten ihr Geschäft. Neben ihnen wurde ein Müllberg in Brand gesetzt. Der schwarze Rauch lässt die Augen tränen. 

Links und rechts des Kanals reihen sich ärmliche Hütten aneinander. Wir sehen eine kleine Moschee, Essensstände mit seltsam gelblichen, getrockneten Fischen und Kreidetafeln, auf denen die europäischen Fußballübertragungen des Abends angepriesen werden. Zwischen den Müllbergen tummeln sich kleine Kinder, alte Männer, Ziegen und Hühner. 

Mit diesen Eindrücken setzen wir uns ins Paloma-Hotel, das nur durch eine Mauer von der Kloake getrennt ist. Zwei Meter – zwei Welten. In kolonialem Schick servieren die Bediensteten Hamburger, Pizza und europäische Rotweine. Geschnitzte Wilden-Statuen sollen wohl das besondere afrikanische Ambiente unterstreichen. Gemeinsam mit ghanaischen Geschäftsleuten, Politikern und europäischen Entwicklungshelfern verfolgen wir die Champions-League-Auslosung. Vom Müll auf der anderen Mauerseite riecht man hier nichts.

Das Buch „Marcus“

Am nächsten Tag gehen wir mit der „Familie“ feiern, wie jeden Abend versammelt sich diese im „Container“. Zwei verschiedene Biersorten, jede Menge Weiße, fünf verschiedene Lieder, die aus übersteuerten Boxentürmen wummern und Marcus.

Marcus ist Ghanaer, 41 Jahre alt und will das Land und am liebsten den ganzen Kontinent umkrempeln. Mit 17 Jahren kam er mit dem Traum Fußballprofi zu werden nach Europa. Mit 23 Jahren trainierte er gemeinsam mit Patrick Kluivert und Ruud Gullit bei Ajax Amsterdam. Seine Sturheit führte ihn dann aber auf die Bahamas und nach Libyen, ehe er sich im Training bei Eintracht Trier schwer verletzte und seine Profikarriere beenden musste. Während er in holländischen Kühlkammern arbeitete, studierte er Logistik und gründete eine Familie. Mittlerweile lebt er getrennt von dieser in Belgien. Als er vor wenigen Wochen zum ersten Mal seit fünf Jahren nach Ghana zurückkehrte, erschütterten ihn die Zustände in seinem Heimatland. Er beschloss, hierzubleiben und eine NGO zu gründen.

Marcus hat ein sehr geschlossenes Weltbild: Allein der Kolonialismus und dessen Nachwirkungen sind verantwortlich für die derzeitigen Missstände Afrikas. Die Afrikaner müssten sich deshalb auf ihre kulturellen Wurzeln besinnen und ihre Probleme selbst in den Griff bekommen, ohne sich dabei auf ihre durch westliche Verwaltungsstrukturen korrumpierten Führer zu verlassen. Marcus ist sehr charismatisch und hält seine immer ähnliche Predigt, jedem, den sie auch nur im Entferntesten interessieren könnte. Die Tatsache, dass seine teilweise radikalen Ansichten durch fundiertes Wissen gestützt werden sowie sein Enthusiasmus, selbst etwas für die Entwicklung seiner Heimatstadt tun zu wollen, überzeugen jedoch. Deshalb beschließen wir, neben der Arbeit für unser eigenes Projekt „Rainbow over Ghana“ auch Marcus bei den ersten Schritten seiner NGO zu unterstützen. In der folgenden Woche treffen wir ihn beinahe täglich. Beim sonntäglichen Treffen der „Volunteers for Community Development“ im Hinterhof von Marcus Wohnung beobachten wir, dass Vereinsmeierei nicht nur ein deutsches Phänomen ist: Redezeitbegrenzung, Postengeschacher, Protokollant, preußische Tugenden in den Tropen. Die ersten Freiwilligen diskutieren darüber, was nun Mission und Vision des Projektes sei und ob sie zuerst eine Struktur benötigen, um die NGO zu registrieren oder ob sie zuerst aktiv Projekte angehen sollten. Marcus scheint über seine Landsleute zu verzweifeln. Einige von ihnen sind betrunken vom vorangegangen Fußballspiel und scheinen sich mehr Gedanken über die Wirkung des Projekts in ihrem Lebenslauf als über die Probleme ihres Viertels zu machen. 

Diese sind zahlreich: Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, verstopfte Kloaken, mangelnde Bildung, stundenlange Verkehrsblockaden. Marcus und die engagierten Teilnehmer wissen selbst nicht genau, welches Problem sie zuerst angehen wollen. Freiwillige sollen auf den Straßen für besseren Verkehrsfluss sorgen! Aber gibt es genügend Menschen, die sich schulen lassen und sich nach Feierabend mitten ins Verkehrschaos stellen? Kloaken müssen vom Müll befreit werden! Aber was wenn man das Gebiet der falschen Partei reinigt und so in den Verdacht gerät, wieder nur politische Interessen zu verfolgen? Obdachlose Straßenverkäuferinnen brauchen zumindest rudimentäre Bildung! Aber wer spricht die Sprache, der zumeist aus dem Norden Ghanas stammenden Mädchen und Frauen? Wegen der Bürokratie gehen die Freiwilligen auseinander, ohne über den Inhalt der Projekte gesprochen zu haben.

Das Treffen verfolgen wir als stille Beobachter, im Lauf der nächsten Tage beraten wir mit Marcus, wie wir helfen können. Wir erklären ihm die Grundlagen von Öffentlichkeitsarbeit und interner Kommunikation mit Facebook, Blog und Online-Datenbanken. Um den Blog mit Leben zu füllen, schlagen wir ein simples Interview-Format vor, in dem die Freiwilligen ihre Motivation erläutern können. (http://vcdghana.blogspot.com) Gleichzeitig nimmt uns Marcus mit in die Problembezirke. Mit ihm an der Seite bekommen wir Einblicke in die Lebenswelt der Armen. Nachts fährt er uns durch die Straßen von Accra Newtown und zeigt uns die abendlichen Ruhestätten der Straßenverkäuferinnen. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben strömen die Mädchen und Frauen aus dem kargen Norden des Landes in die Hauptstadt. Zu hunderten verkaufen sie Wasser, Kekse, Zahnbürsten. Ihre Waren tragen sie den ganzen Tag auf dem Kopf. Die jüngsten sind geschätzte zwölf Jahre alt, die ältesten sechzig. Nachts versammeln sie sich vor den wenigen Fernsehern in Friseursalons oder anderen Geschäften. In kleinen Gruppen versuchen sie sich vor Vergewaltigungen zu schützen. Doch auch wenn das funktioniert, sind die Geburtenraten hoch. Es gibt eben nicht viele Vergnügungsmöglichkeiten in Newtown. Da ihr Lohn kaum für ihr eigenes Auskommen reicht, können sie sich um ihren Nachwuchs meist nicht kümmern. Die Kinder landen in Waisenhäusern. Marcus nennt dies „Production Line“. Mit der derzeitigen Politik würden nur die Symptome und nicht die Ursachen bekämpft. Da will Marcus mit seinen Projekten und öffentlichem Druck ansetzen. 

Genauso eindrucksvoll ist unser Besuch im Viertel Nima. Wir laufen durch verwinkelte Gassen und Hinterhöfe, in die sich mit Sicherheit nur selten Weiße verirren. Marcus missioniert, wir schauen uns um. Zuerst fragen wir schüchtern, ob wir fotografieren dürfen. Nachdem die Kinder unsere Kamera erblickt haben, gibt es kein Halten mehr. Jedes will abgelichtet werden. Der Tumult ist so groß, dass sich ein Kind beim Sturz in einen schmalen Abwasserkanal am Kopf verletzt. Abschließend werden wir eingeladen, im Innenhof eines „Mehrfamilienhauses“ die Vorbereitungen für das Abendessen zu dokumentieren.

Für „Rainbow over Ghana“ treffen wir uns mit dem Grundschulkoordinator der ghanaischen Bildungsbehörde. Dieser hat trotz der Tatsache, dass ihm am Wochenende das Haus von Räubern ausgeräumt wurde und er keine Versicherung hat, ausgesprochen gute Laune. Während er uns von den Vorzügen unserer Schule einen Kindergarten anzuschließen überzeugen möchte, veranschaulicht er uns spielerisches Lernen, indem er durch sein Büro hüpft („I´m jumping, I´m jumping“).

Neben der Arbeit für die beiden Projekte bleibt aber auch Zeit für Anderes. Am Wochenende besuchen wir mit Marcus die ghanaische Rastafari-Legende Father Ben in Kokrobite und feiern mit einer Menge weißer Volunteers bei einer der bekanntesten Reggae-Parties des Landes. Waren Afrikaner dort noch in der Minderheit, erleben wir bei der Tawala-Beach-Party das Gegenteil. Wie zwei weiße Glühwürmen irrlichtern wir durch die schwarze Feiermeute, die von Rasta-Ricky angeheizt wird.

Schürfen an der „Goldküste“

Bevor wir Accra verlassen, besuchen wir mit Marcus das Fußball-Länderspiel Ghana gegen Swasiland. Obwohl die Black Stars den Swasis haushoch überlegen sind und lautstark von Blaskapellen und leider auch Vuvuzelas unterstützt werden, gewinnen sie das Qualifikationsspiel für den Afrika-Cup nur mit 2:0. Tags darauf erfahren wir vom Neffen unserer Gastmutter, dass wir vor Anpfiff im nationalen Fernsehen zu sehen waren.


 Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zum größten Karneval Ghanas in Cape Coast. Unser Hostel teilen wir uns mit frei herum streunenden Krokodilen, auch wenn diese gut abgefüttert sind, ein seltsames Gefühl. Die ganze Anlage liegt in und an einem künstlichen See, das abendliche Bier wird in einem Stelzenhaus gereicht. Während wir trinken, wird im Wasser um uns herum noch zu Abend gegessen. 




Cape Coast selbst ist im Ausnahmezustand. Die Straßen sind voller Menschen und aus unzähligen Soundsystems in Bars, an Straßenkreuzungen und in Tankstellen dröhnen die bereits wohlbekannten fünf Lieder. Statt Umzugswagen schieben sich Geländewagen und Taxen durch die vollkommen überfüllten Straßen. Wie so oft in unserem Leben kommen wir zu spät für den kulturellen Teil und nehmen nur noch die Party mit.





Als Ausgleich besuchen wir am Sonntag „Cape Coast Castle“, Regierungssitz der englischen Kolonialmacht und Aufbewahrungsort, man muss es so nennen, für Sklaven vor deren Verschiffung in die „Neue Welt“. Das Ehepaar Obama war vor uns da. 






Während wir in die Kerkerräume hinabsteigen, in denen die Sklaven ohne ausreichende Nahrungsversorgung, bei fast vollständiger Dunkelheit und unter erbärmlichen sanitären Verhältnissen auf ihr ungewisses Schicksal warteten, wird die Grausamkeit eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte sehr anschaulich. 







Der Besuch im Regenwald „Kakum“ ist unspektakulär. Wir staunen über den Super-Highway der Waldameisen, die als einzige nicht die Flucht vor den laut johlenden ghanaischen Reisegruppen ergreifen konnten, wir lernen etwas über die medizinische Verwendung der Dschungel-Gewächse und sind froh, uns den Eintritt für den Canopy-Walk gespart zu haben.

Mit dem Tro-tro, einem vollgestopften, in Europa ausrangierten, Kleinbus japanischer Herkunft, geht es am folgenden Tag die Küste entlang. Wir reisen abenteuerlich mit einem Gaskanister direkt hinter unserer Rückenlehne, der bei jeder mit Vollgas genommenen Bodenwelle fröhlich hüpft. Die mitreisenden Ghanaer missinterpretieren unseren Galgenhumor als Beschwerde über den Zustand der Straße und schütteln lächelnd den Kopf. Trotz allem erreichen wir unser Ziel sicher. Die letzten Kilometer allerdings sind spektakulär. Eine Schlammpiste die gestandenen Rally-Fahrern die Schweißperlen auf die Stirn treiben dürfte, lässt unseren minderjährigen Fahrer zwar kalt, begeistert dafür uns. Dann sind wir angekommen: Eden! 

Die Green Turtle Lodge liegt an einem kilometerlangen, verlassenen Sandstrand. Die Wellen brechen meterhoch.an der von Palmen gesäumten Küste. Das ECO-Hostel wird von einem englischen Pärchen betrieben und setzt auf Umweltfreundlichkeit und soziale Nachhaltigkeit. Sie ist einer der größten Arbeitgeber des Nachbardorfes, vom Profit des Hostels werden Lehrer bezahlt und die hier Eier legenden Schildkröten geschützt. Auf der Speisekarte stehen leider nur Hühnchen-Gerichte, wir besorgen uns deswegen Fisch in Akwidaa und lassen ihn vom Restaurant-Personal grillen. Beim allabendlichen Cuba Libre verfassen wir diese Zeilen und planen unsere weitere Reise. 

Wir sind zurück in Accra und werden die Reise nach Togo, Benin und Burkina Faso antreten.

Notizen zu den ersten drei Wochen:
  • Wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir unserem neuen pakistanischen Freund glauben können, dass Hitler Cricket wirklich verboten hat, weil ihm die Spiele zu lange gedauert haben.
  • Ohne Ramadan macht´s mehr Spaß.
  • Noch hat uns Malaria-Joe nicht erwischt.
  • Eine Familie ist vollkommen ausreichend.
  • Auch Ministeriums-Mitarbeiter begrüßt man in Ghana mit einem lässigen Fingerschnips-Händedruck.
  • Jeder Ghanaer kennt mindestens ein deutsches Wort (Kollege), wir mittlerweile immerhin drei ghanaische.
  • Rastazöpfe sehen bei Weißen einfach scheiße aus.
  • Jaiii, don´t do it!
  • Nachts sind an Tawala-Beach nicht alle Katzen grau.
  • Von wegen afrikanisches Lotterleben, wenn wir das nächste Mal montags um halb acht angerufen werden, setzt´s was.
  • Nein, wir sind keine Brüder.
  • Wenn man seiner Freundin treu ist, bekommt man bei Partys schnell eindeutige Angebote von Männern.
  • Sextourismus funktioniert in beide Richtungen.
  • Zum Glück haben wir Popcorn!
  • Mindestens im Stadion befinden wir uns auf Augenhöhe mit dem Präsidenten,
  • Survival of the Fittest ist unserer Meinung nach keine genügende Ausrede, warum ein Hundebaby dem schwergewichtigen Tritt Mama Minas zum Opfer fallen musste.
  • Was Europäer für Sommer-Strandparty halten, veranlasst Ghanaer dazu, ihre Winterjacke auszupacken.
  • Die Deutschen mögen Bürokratie erfunden haben, die Ghanaer treiben sie auf die Spitze.
  • Stellt doch einfach mal das Handy lautlos.
  • Obwohl in Ghana Kaffee angebaut wird, gibt es meist nur Brösel-Plörre von Nescafe.
  • Wie kann man so viele Ziegen und so wenig Milch haben?
  • Obama „macht“ hier Werbung für Handys, Kekse und den Präsidenten Atta Mills
  • Die Mobilfunkanbieter Vodafone, MTN und Glo liefern sich einen Wettstreit darum, ob die Hütten eines Dorfes überwiegend rot, gelb oder grün bepinselt sind.
  • Ja, wir sind weiß, danke für den Hinweis.
  • Nein, wir müssen nicht auf jedem ghanaischen Trophäen-Foto drauf sein.
  • Auch bei bedecktem Himmel kann man sich mit unseren Latino-Körpern Brandblasen auf den Schultern einfangen.
  • Touristen sind in jeder Kultur ähnlich degeneriert
  • Haben Hummer natürliche Feinde?
  • Die Statistik, dass mehr Menschen von Kokosnüssen erschlagen werden, als bei terroristischen Attentaten ums Leben kommen, mag in Deutschland beruhigend sein, hier eher nicht.
  • 2009 starben in Ghana zweieinhalbtausend Menschen bei Verkehrsunfällen, wir haben mittlerweile eine Vermutung warum