Wenn hier etwas schief läuft, hört man schnell „This is Africa“. Aber unser Freund Marcus hat nicht ganz Unrecht, wenn er sagt „This is Eden“. Er glaubt, dass sich das biblische Paradies in Afrika befand und der Sündenfall der Kolonialismus war. Natürlich ist nicht alles paradiesisch in Ghana, nicht zuletzt deswegen sind wir ja auch hier. Aber wenn die Wellen am einsamen Sandstrand branden und die feuerrote Sonne hinter Palmen versinkt, ist es doch gar nicht soweit entfernt vom Garten Eden.

Saturday 8 October 2011

Highway to hell

Ab 130 km/h ertönt das Warnsignal des chinesischen Reisebusses. In kurzen Intervallen weist das System mit einem Tinitus-artigen Geräusch auf die exponentiell steigende Gefahr, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, hin. Dem Fahrer ist es egal, er ist viel zu sehr damit beschäftigt, den kraterartigen Schlaglöchern auszuweichen. Bei Reiseantritt haben wir uns noch gewundert, wie die 700 Kilometer nach Natitingou im Norden Benins in acht Stunden zu bewältigen sein sollen – jetzt wissen wir es. Wir haben einen Platz hinter dem Fahrer, durch die Panoramascheibe des Busses sehen wir unser Leben an uns vorüber ziehen, den Soundtrack dazu liefert der Hilfeschrei der Bordelektronik.

Vierradantrieb für ein Halleluja

Im Hotel angekommen, unterziehen wir die Guides für die Safari im Pendjari-Park einem strengen Casting-Programm. Da nicht jeder mit einem Foto nach Hause gehen kann, entscheiden wir uns für Rahimi, Kandidat Nummer zwei. Er überzeugt durch Hemdsärmeligkeit und seinen eigenen Geländewagen. Wenn einer den Löwen an der Mähne aus dem meterhohen Gras ziehen kann, dann er. Wir sind pünktlich zur schlechtesten Jahreszeit in der Savanne angekommen. Wochenlanger Regen, üppige Vegetation und keine Notwendigkeit für die Tiere, sich an den vereinzelten Wasserlöchern einzufinden. Schlecht für den Löwen, der die Antilopen schwerer findet, und schlecht für uns, weil wir weder die Antilope, noch den Löwen, noch deren Zusammenprallen leicht beobachten können. 

Doch die Savanne hat die Rechnung ohne Rahimi gemacht. Ohne Rücksicht auf Mensch und Material testet er die Amphibien-Qualitäten seines Allrads und fährt durch Pfützen so tief wie Nichtschwimmerbecken. Die Wasserkante befindet sich knapp unter der Seitenscheibe. Später sitzen wir auf dem Dach des Fahrzeugs und können so knapp über das Gras hinweg schauen. Er hat uns einen Elefanten versprochen und den kriegen wir. Leider scheint es nach Auskunft unseres Guides der einzig dünnhäutige Dickhäuter des Parks zu sein. Wir kommen nur auf drei Meter heran, ehe er flüchtet.

Safari ist wie Überraschungseier sammeln, die Schokolade schmeckt jedes Mal, aber richtig freut man sich nur, wenn eine Sammelfigur drin ist. In der Regenzeit befinden sich diese aber nicht mal hinter jeder siebten Kurve. Umso größer ist die Freude, als wir den Setzkasten am Ende doch noch fast vervollständigen können: Antilope, Marabu, Warzenschwein, Pavian, Nilpferd und eine Büffelherde. Die Fächer für Löwe und Gepard bleiben leer.

Vor dem Bad in einem Wasserfall lernen wir noch einen fränkischen Eremiten kennen, der in der Nähe des Nationalparks ein Guesthouse mit Werkstatt unterhält. Alfred beweist Geschäftstüchtigkeit, denn der Weg zu seiner Werkstatt ist so schlecht, dass jeder, der zu ihm kommt, auch seine Dienste als Mechaniker in Anspruch nehmen muss. Sichtlich erfreut in der Nebensaison Landsleute zu erblicken, hält er uns in breitem Dialekt einen langen Vortrag über die Tücken der Regenzeit und seine Verwandschaftsverhältnisse. Am Ende bleibt die Frage offen, ob Alfred vor der restlichen Welt ins beninische Hinterland geflüchtet ist oder sich der Rest der Welt nur vor ihm versteckt.

Ich wollt, ich wär kein Huhn

Da das Burkina-Faso-Visum mittlerweile 100 Euro kostet, beschließen wir, über den Norden Togos nach Ghana zurückzukehren. Kein Weg doppelt. Bei diesem Plan erweist sich Rahimi erneut als Glücksfall. Da er nicht nur Guide, sondern auch Automechaniker ist und Ersatzteilservice in Westafrika kleingeschrieben wird, fährt er für die Seitenscheibe eines Kunden genau unsere Strecke. Eine Fahrt von mehr als hundert Kilometern, für die wir sonst auf spärliche Transportmöglichkeiten auf verlassenen Staubpisten angewiesen wären. Die Landschaft der Atakora-Region ist atemberaubend. Spektakuläre Steilhänge und bewaldete Bergketten soweit das Auge reicht. Die Straße ist der einzigen Hinweis darauf, dass hier auch Menschen leben. 

Der Volksstamm der Tata Somba baut kleine Lehmpaläste mit Zinnen und Türmchen. Unten haust das Vieh und in den winzigen Turmzimmern die Menschen. Deswegen ist die Gegend UNESCO-Weltkulturerbe. Die Fahrtumstände sind die Üblichen, es herrscht der ganz normale Wahnsinn: Wir philosophieren darüber, ob von Schlaglöchern oder von Schlaghügeln zu sprechen ist, wundern uns, dass wir uns immer noch über ein lebendes Huhn im Kofferraum wundern und beweisen afrikanisches Improvisationstalent, als wir Rahimi vorschlagen, die immer wieder aufspringende Beifahrertür mit Panzertape zu fixieren.

Einprägsam erneut die Grenzerfahrung, denn diese ist gar nicht so leicht zu erkennen. Im beninisch-togolesischen Hinterland wird auf die Eigeninitiative des Reisenden gesetzt. Den Schlagbaum (wirklich ein Baum!) hätten wir auch ohne Ausreisestempel umfahren können und in Togo hätten wir auch erst bei der Ausreise ohne Visa Probleme bekommen. Für den Westafrikaner ist die Jagd nach Passstempeln und Visa ein ähnlich seltsames Ritual wie das Einschmieren mit Sonnencreme, denn für westafrikanische Staatsbürger gilt hier Reisefreiheit. Von den wegfallenden Grenzkontrollen profitiert auch die nigerianische Benzin-Mafia und damit auch der gesamte Reiseverkehr Togos und Benins. An kleinen Straßenständen oder von Lastwägen in Hinterhöfen verkaufen Hehler unversteuerten Sprit zur Hälfte des Normalpreises.

Die Welt spricht Visa

Die Busfahrt vom Norden Togos nach Lomé ist geprägt von Unsicherheit. Ausnahmsweise nicht wegen der Straßenverhältnisse, sondern wegen der Sorge um das Ghana-Visum. Um Geld zu sparen, haben wir in Deutschland nur die einmalige Einreise beantragt. Ein neues Ghana-Visum, so stand es im Reiseführer, sei problemlos erhältlich – ob nun in Burkina Faso oder Togo. Seit Erscheinen des Buches hat Ghana allerdings seine Einreisebestimmungen geändert. Eigentlich sind Visa nur noch im Heimatland beantragbar. Eine Information, die wir leider erst in Benin und nicht in Deutschland recherchiert haben. Die gesparten 70 Euro verblassen, wenn man vorsichtshalber checkt, wie teuer ein Rückflug von Lomé nach Deutschland wäre. Wir gehen unsere Optionen durch: Dumm stellen, auf Mutterinstinkte bei der Botschaftsbeamtin setzen oder wenn alle Stricke reißen, rübermachen. Wir schreiben Steffen, dem Vorsitzenden von Rainbow over Ghana und Reiseunternehmer in Ghana, unserem ghanaischen Freund Marcus, Torsten, Vorstand einer anderen NGO, dem ghanaischen Grundschulbeauftragten Stephen Adu, dem deutschen Botschafter in Togo und Frank von der ghanaischen Regierungspartei NDC. 

Am Ende ist es doch einfacher als befürchtet. Das Schreiben des ghanaischen Bildungsministeriums, das wir vor einigen Wochen bekommen haben, ist der Türöffner. Behörden sind überall gleich: Amtliche Schreiben eines Übergeordneten bringen Bewegung ins Beamten-Mikado, einer muss sich jetzt bewegen. In unserem Fall sind es Fred Bongne und sein in Traveller-Foren gefürchteter Türdrachen unbekannten Namens. Die graue Eminenz bläst Staub und Spinnweben vom entsprechenden Stempel und drückt eine echte Rarität in unseren Reisepass. Wie viel Glück wir haben und wie viele andere Reisende scheinbar vor uns gescheitert sein müssen, zeigen uns die Glückwünsche und der Handschlag des Grenzbeamten: „Wow, you got it!“

Italiens Werk und Ghanas Beitrag

Zurück in Ghana machen wir uns auf den Weg in die Volta-Region. Die Fahrt dauert sieben Stunden, die Hälfte davon verbringen wir auf dem Parkplatz und warten, bis das Auto voll ist. Dafür werden wir mit einem Sonnenuntergang über dem größten künstlichen See der Welt belohnt. Man weiß eben nie, wozu manche Ärgernisse gut sind. 




Nach Einbruch der Dunkelheit erreichen wir das Affenreservat Tafi-Atome. Dreitausend kleine Meerkatzen werden hier nur noch von Kameras gejagt. Bei Sonnenaufgang stehen wir mit Bananen bewaffnet am Waldrand. Die possierlichen Tiere hängen an den Ästen des Baumes und versuchen mit langen Armen nach den Früchten zu haschen. Der eine macht den anderen kalt. Wer bei diesem Spiel mehr Spaß hat, lässt sich nicht eindeutig sagen.







Das jüngste Opfer der Reiseumstände ist unser Biorythmus. Zu Uhrzeiten, zu denen wir in Deutschland normalerweise das letzte Bier der Nacht bestellen, sind wir hier schon fit. Mit Haferschleim abgefüttert fahren wir weiter zum Volta-Staudamm nach Akosombo. Der Held der Unabhängigkeit und erster Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah, war auch schon hier. Sein Beitrag zum von Italienern gebauten Damm war der Knopfdruck, der die Bergsprengung eingeleitet hat. Noch heute wird er dafür gefeiert. Und auch wenn es eindrucksvollere Bauwerke gibt, haben die Ghanaer dafür auch allen Grund: Die Wasserkraft erzeugt genügend Energie, um die Nachbarländer Togo, Benin und Burkina Faso mit Strom zu beliefern. Die hier gewonnene Energie ist ein wesentlicher Grund für den wirtschaftlichen Vorsprung Ghanas vor anderen Ländern der Region. Auch wenn der Stausee des chinesischen Drei-Schluchten-Damms bald das größte künstliche Gewässer der Welt sein wird, sind mehr als 50 Jahre an der Spitze eine Erfolgsgeschichte für ein so kleines Land wie Ghana.

Die letzten beiden Wochen brechen an. Am Lake Bosumtwi wollen wir endlich das zukünftige Schulgelände besichtigen und mit Kwame, unserem Mann vor Ort, sprechen.

Notizen der sechsten und siebten Woche:
  • Regenzeit in der Savanne ist wie Ramadan in Casablanca: Nichts für Touristen.
  • Zum Glück sind Elefanten nicht grün.
  • Two out of Big Five.
  • Ein Huhn geht immer noch.
  • Nein, in Deutschland ist man mit 28 noch nicht verheiratet.
  • Afrikaexperten erkennt man daran, dass sie sich weniger über das Huhn wundern, als sich über die Hühnerscheiße auf dem Rucksack ärgern.
  • Affen sind wie Menschen, nur haariger.
  • Kann man Schlaglöcher noch als solche bezeichnen, wenn es so viele sind, dass eher die Hügel auf der Fahrbahn stören?
  • Krass, schon neun, lass pennen gehen!
  • „Die Tiere haben ihre eigene Art, Dinge zu tun“, ist keine befriedigende Auskunft eines Naturführers.
  • Und Krokodile atmen doch.
  • Jawohl, 40 Euro gespart!
  • Der Präsident zündet immer die Bombe.
  • Zum Glück sehen die Hochspannungsleitungen am Volta-Staudamm nicht so aus wie die Elektrifizierung in Accra.
  • Ist Hühnchen alle oder habt ihr uns vergessen?

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